Erwachsenenbildung für Digital Natives – was soll nur werden?


Es gibt doch nichts schöneres als aufm Sofa zu lümmeln und in Ruhe ein gutes Buch zu lesen…ohne Unterbrechungen…. Ha! Mit 38 Jahren lässt sich das leicht behaupten! Ich als „Digitale Einwandererin“ befinde mich dabei ja auch in heimischen Gefilden: in meiner offline-Welt.

Als ich vor ein paar Tagen in PSYCHOLOGIE HEUTE (Mai 2009, S. 32ff) las, dass sich Digital Natives – also Menschen, die in das Computer- und Internetzeitalter hineingeboren wurden – beim Lesen eines Buches regelrecht einsam fühlen, weil sie dabei abseits ihrer virtuellen Heimat abgeschnitten von ihren virtuellen Perma-Verbindungen sind, kam ich ins Grübeln… Was bedeutet das eigentlich in absehbarer Zukunft für die Erwachsenenbildung?

Was bedeutet es speziell fürs Fernlernen? Eine flexible Lernform, zeit und ortsungebunden, besonders geeignet für berufstätige Menschen, bei der – seien wir ehrlich – immer noch großteils auf gedruckte Studienunterlagen gesetzt wird (ich weiß wohl, dass es längst einen guten Medienmix an allen modernen Fernschulen gibt und vor allem viele interaktive Zusatzangebote zur virtuellen Kommunikation über Onlinestudienzentren). Dies passiert übrigens aus meiner „Immigranten“-Sicht aus gutem Grund: Meine Generation versteht es schließlich noch, mehrere Seiten am Stück zu lesen. Die aktuellen Fernstudierenden (und die Anmeldezahlen steigen rasant!) – Achtung: allesamt Digital Immigrants! – bestätigen dies: Die jetzige Generation der Lehrgangsteilnehmer/innen will gar nicht so viel vorm Bildschirm sitzen – und vor allem: „Wir“ fühlen uns durch eher Reize gestört, die für „andere“ (ach herrlich, diese Konstruktion von Fremdheit… 😉 !) das pure Glück bedeuten: SMS, Skype, Chat, Twitter… *pling*


[Quelle: tfrancis on Flickrcreativ commens-lizensiert]

Welche Lernangebote brauchen Digital Natives, wenn sie als Erwachsene lernen wollen, aber gar nicht mehr auf „klassisches Lesen“ gepolt sind? Oder steht die Erwachsenenbildung vor ganz anderen Herausforderungen? Zum Beispiel diesen:

Bei diesen jungen Leuten, die so lange auf einen Computer- oder Fernsehschirm starren, werden die neuronalen Bahnen für herkömmliche Kommunikationsfähigkeiten nur noch unvollständig ausgebildet.

Der Autor des PSYCHOLOGIE HEUTE-Artikels vermutet, dass Digital Natives bis ins Erwachsenenalter hinein auf einem emotional unreifen und egozentrischen Niveau von Teenagern stagnieren… Vielleicht können sie sich also gar nicht mehr dem Stress von Präsenzseminaren aussetzen, vielleicht lernen sie in der realen Gegenwart anderer Menschen gar nicht mehr so gut? (Oje, jetzt werde ich ketzerisch…)

Mir geht es gar nicht einmal so sehr um eine Bewertung, sondern ganz ernsthaft um die Frage, ob die Erwachsenen-Didaktiker von heute überhaupt auf die Zielgruppe von morgen vorbereitet sind – unweigerlich aufeinandertreffen werden sie schon in wenigen Jahren…

P.S.: Einen interessanten Blog-Artikel über Digital Natives fand ich übrigens gerade bei Blodpiloten.de.

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Der PSYCHOLOGIE HEUTE-Artikel, den ich meine, ist ein Auszug aus dem neuen Buch über die veränderte Hirnentwicklung von Kindern mit permanentem (Neue) Medien-Konsum: Gary Small, Gigi Vorgan: iBrain: Wie die neue Medienwelt Gehirn und Seele unserer Kinder verändert. Kreuz-Verlag; Auflage: 1., Aufl. (Januar 2009)

5 Gedanken zu “Erwachsenenbildung für Digital Natives – was soll nur werden?

  1. itari schreibt:

    Ja, das ist ein spannendes Thema. Wir haben ja früher immer darüber geredet, dass jeder so seine besten Lernkanäle finden soll (Lernarten/Lerntypen) und dass man sich dann möglichst dazu versorgen sollte. Und nun stellen wir fest, dass das Buch und die Präsenzveranstaltung bei den digital Natives nicht so gut ankommt und schon sind wir eingeschnappt und ziehen voller Häme darüber her, ob die das wohl nicht (mehr) anders können. Warum sollte ein Hörbuch schlechter sein als ein normales Buch? Warum sollte eine im Chat oder Forum geführte Diskussion nicht ebenso gut sein, wie eine im kleinen Gruppenkreis? Warum sollte ein Online-Tagebuch/Blog schlechter sein als ein schriftlich geführtes Lerntagebuch? Warum sollte ein Podcast schlechter sein als ein Lehrfilm? Die Reihe könnte man fortsetzen … Und warum sollte ein lernender Mensch nicht allein vor dem Computer schlechter dran sein als ein Filosof/Philosoph in einer Tonne oder unter einem Apfelbaum. Und warum sollte ein Kollaborationstool wie Twiddla schlechter sein als eine Metaplan-Wand fürs gemeinsame Entwickeln von Gedanken?

    Irgendwie wollte wir ganz vorne dabei sein mit den neuen Technologien, aber wenn sich dann irgendwas im Stil/Verhalten/Einstellungen der Menschen ändert, was sich von unserer liebgewordenen Vorstellung von Lehre/Unterricht/Lernen abweicht, dann sind wir erschrocken. Vielleicht brauchen wir ja irgendwann keine Schulen und keine Lehrer mehr, weil wir sowieso nicht mehr fürs Leben/für den Beruf lernen, sondern nur für die nächste Woche … vielleicht reicht das ja schon für Überleben und der Rest ist eh für die Tonne oder fürs Twittern *gg* Vielleicht ist das ganze Brimborium über das Lernen eh nur eine Mode der letzten 180 Jahre (davor gab es ja kaum Schulen), die irgendwann wieder verschwindet, weil wir feststellen, dass dumm sein eher glücklich macht 😉 als gescheit sein und keine Arbeit/Lebensaufgabe/Anerkennung haben …

  2. Hallo Itari,

    mir gefällt Dein Kommentar! Ich kam mir beim Schreiben auch ein bisschen arrogant vor. 😉

    Und mir ging es bei aller scheinbarer Kritik an mir unvertrauten Lernformen vor allem um diese Feststellung der Genrationen-Kluft und dass zurzeit Digital Immigrants Lernangebote für Digital Natives entwickeln und sich dann womöglich wundern, warum es nicht klappt…

    Eine famose Idee, die Eigeninititaive zu fördern und Lernen wieder stärker zu einem aktiven Prozess werden zu lassen als Frontalunterricht (und vielleicht auch Lehrbriefe) ist das Konzept des Lernens durch Lehrens ( http://de.wikipedia.org/wiki/Lernen_durch_Lehren ), mit dem ich mich unbedingt noch näher beschäftigen möchte – und für das ich eine Entsprechung für die mediengestützte Erwachsenenbildung sehe: nämlich das Web Quest ( http://de.wikipedia.org/wiki/WebQuest ).

    Aber das ist ein neuer Blog-Artikel… 😉

    Und was Deine philosophischen Gedanken zu Bildung und Wissensansammlung angeht: Lernen ist menschlich – die Frage ist nur, wieviel Institutionalisierung und vor allem Fokussierung auf (kapitalistische!) Verwertbarkeit es braucht…

    Sonnige Grüße, Dörte

  3. itari schreibt:

    Schön das es dir gefallen hat, was ich zu deinem Blogbeitrag geschrieben habe. Vielleicht sollte ich noch sagen, dass ich der Meinung bin, dass wir Menschen sowieso lernen, wir sind geradezu richtige Lernmaschinen. Es kommt also nur darauf an, dass wir uns gegen die Dinge, die uns vom Lernen abhalten wehren … ja das können auch Lehrer sein, die uns abhalten …

    Ich mag auch sehr den Ansatz von Jeanpol mit seinem Lernen durch Lehren und auch seine wirklich gute Art mit Menschen einfühlsam umzugehen (auch wenn das manchmal gar nicht so scheint); er hat das Herz am rechten Fleck und es macht großen Spaß mit ihm zu twittern.

    Wenn du magst, kannst du dir aber gerne mal meine Statements zum Lernen durchlesen … soweit weg ist das ja nicht von deinem Thema, z. B. hier das: http://itari-blog.blogspot.com/2008/12/lernen-veranstalten.html

    Viele Grüße
    Itari

  4. Ein sehr interessanter, sehr anregender Artikel, vielen Dank!

    Persönlich finde ich es äußert spannend und kann gar nicht abwarten, wie sich dieser Bereich in den nächsten Jahren/Jahrzehnten entwickeln wird. Wie wird es wohl sein wenn die „Digital Natives“ in die „Erwachsenenwelt treten“? Sicherlich bringt es große Herausforderungen mit sich und viele neue Perspektiven besonders sobald sie selbst in die Rolle des Lehrenden treten.

    In einem Gespräch, an welchem ich vor Kurzem teilhaben durfte, ging es ebenfalls darum, wie sich schon heute die Anforderungen an den Lehrenden geändert haben. Unter anderem stellte sich die Frage, wie die Aufgaben des Lehrende sich entwickeln um sich an die „geänderten Umstände“ anzupassen. Wissensvermittlung kann nicht mehr das alleinige primäre Ziel sein, denn Wissen ist in allen möglichen Formen vorhanden. Ist es nicht notwendig, dass Kinder, Jugendlich und Erwachsenen den – ihren – Weg finden, sich die benötigten Informationen zu beschaffen und daraus einen Gewinn zu beziehen? Und vielleicht noch wichtiger – auch wenn es sich dabei nun um einen anderen Aspekt handelt – zu vermitteln, worin ihr Gewinn überhaupt liegt, also herauszufinden, was sie wissen wollen bzw. „sollten“.

    Oh je, jetzt überschlagen sich meine Gedanken auf Grund zu vieler anderer Aspekte.
    Einen schönen Abend,
    Melanie

  5. @Melanie

    Danke für Dein Feedback!

    Für mich ist das Thema mit diesem Blog-Artikel auch auf keinen Fall ausgereizt, sondern es ist für mich die Eröffnung einer kontinuierlicheren Auseinandersetzung mit einer Fragestelölung, die mich aufgrund meiner verschiedenen Professionen schon eine ganze Weile begleitet.

    Das Buch „iBrain“ hab ich mir übrigens mittlerweile gekauft und werde bestimmt demnächst noch einmal darauf zurück kommen.

    Viele Grüße, Dörte

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